LuPa.Blog #2 – Leitfaden für Geschäftsleiter in der Unternehmenskrise
1. Adressaten dieses Leitfadens
Sämtliche Geschäftsleiter juristischer Personen (GmbH, AG, UG) sowie der GmbH & Co. KG unabhängig von der Unternehmensgröße d.h. auch KMU und Start-ups.
2. Ausgangssituation: Eintritt der Insolvenzreife
Eintritt der Insolvenzreife heißt: Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung
Zahlungsunfähigkeit: Liegt vor, wenn ein Unternehmen binnen drei Wochen weniger als 90 % seiner fälligen Forderungen begleichen kann, also die Deckungslücke über 10% liegt. Hierbei sind auch Forderungen zu berücksichtigen, die innerhalb der nächsten drei Wochen fällig werden. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wird vermutet, wenn das Unternehmen seine Zahlungen eingestellt hat.
Praxishinweis: Zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit hilft die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz bzw. einer Liquiditätsplanung. Je größer die Anzeichen einer aufkommenden Krise, desto engmaschiger ist der Liquiditätsstatus anzusetzen (bis hin zur taggenauen Liquiditätsbetrachtung).
Überschuldung: Liegt vor, wenn (1) die Verbindlichkeiten das Vermögen des Unternehmens übersteigen (bilanzielle Überschuldung) und (2) keine positive Fortführungsprognose besteht. Unter einer Fortführungsprognose versteht die Rechtsprechung eine Zahlungsfähigkeitsprognose. Die Fortführungsprognose nimmt einen Zeitraum von 12 Monaten in den Blick.
Drohende Zahlungsunfähigkeit: Liegt vor, wenn das Unternehmen voraussichtlich innerhalb der nächsten 24 Monate nicht in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen.
3. Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages gem. § 15a Abs. 1 InsO
Bei Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, nicht drohende Zahlungsunfähigkeit) ist der Geschäftsleiter einer juristischen Person (GmbH, UG, AG) bzw. der GmbH & Co. KG verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen. Andernfalls drohen dem Geschäftsleiter strafrechtliche Konsequenzen (Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, § 15a Abs. 4 InsO). Jeder Insolvenzantrag wird unmittelbar an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung übersandt.
Die Frist zur Stellung eines Insolvenzantrages beträgt
- bei der Zahlungsunfähigkeit maximal drei Wochen (21 Tage)
- bei der Überschuldung maximal sechs Wochen (42 Tage).
Hierbei handelt es sich um sog. Höchstfristen. D.h. diese dürfen grundsätzlich nur dann vollständig ausgenutzt werden, sofern eine konkrete (begründete) Chance zur Sanierung des Unternehmens oder zumindest die begründete Aussicht besteht, den Insolvenzantragsgrund innerhalb der jeweiligen Frist zu beseitigen. Sollten Rettungsbemühungen innerhalb dieser Fristen scheitern (also bspw. Verhandlungen über einen Überbrückungskredit scheitern) ist der Geschäftsleiter verpflichtet unverzüglich (sofort) Insolvenzantrag zu stellen.
Praxishinweis: Für den Fristbeginn der Insolvenzantragspflicht kommt es nicht auf die Kenntnis des jeweils vertretungsberechtigten Organs von der Antragspflicht, sondern vielmehr auf das objektive Vorliegen des Insolvenzantragsgrundes an.
Sofern eine Gesellschaft keine Geschäftsleitung mehr hat (Führungslosigkeit der Gesellschaft), trifft die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages die Gesellschafter.
4. Pflichten des Geschäftsleiters nach Eintritt der Insolvenzreife
Neben der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages gem. § 15a InsO sieht § 15 b InsO ein Zahlungsverbot ab Eintritt der Insolvenzreife vor.
D.h. grundsätzlich dürfen nach Eintritt der Insolvenzreife (vgl. oben unter 2.) keine Zahlungen mehr an Gläubiger des Unternehmens geleistet werden.
Ausgenommen sind Zahlungen die der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entsprechen. Seit dem 1. Januar 2021 regelt § 15b InsO ausdrücklich, welche Voraussetzungen vorliegen bzw. welche Maßnahmen ein Geschäftsleiter treffen muss, damit Zahlungen auch noch nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet werden dürfen:
Zahlungen müssen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs notwendig sein. Dies umfasst bspw. Zahlungen auf Wasser, Strom und Gas sowie an Lieferanten notwendiger Produktionsmittel oder notwendige Dienstleistungen.
Gleichzeitig muss ein Geschäftsleiter nach Eintritt der Insolvenzreife (1) Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife treffen oder (2) die Stellung eines Insolvenzantrages vorbereiten.
Praxishinweis: Im Einzelfall hat ein Geschäftsleiter zu prüfen, ob eine Zahlung zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bzw. zur Sicherstellung der Fortführung des Unternehmens über den Zeitraum der Insolvenzantragsfrist notwendig ist. Im Zweifel keine Auszahlung! In jedem Fall ist ausführlich zu dokumentieren, (1) welche Zahlungen geleistet werden, (2) weshalb die Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs notwendig sind, (3) welche Risiken die Nichtzahlung für die Fortführung des Unternehmens bedeutet und (4) welche Maßnahmen die Geschäftsleitung zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife bzw. Vorbereitung der Stellung des Insolvenzantrages getroffen hat.
Nicht von dieser Privilegierung umfasst sind Zahlungen auf nach Insolvenzreife abgeschlossene Verträge, Zahlungen auf noch nicht fällige oder Einrede behaftete Gesellschafterforderungen, Gesellschafterdarlehen, Zahlungen an gesellschaftsrechtlich verbundene Unternehmen oder Rechnungen für nicht betriebsnotwendige Reparaturaufträge.
Nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist (verspätete Insolvenzantragstellung) sind Zahlungen in der Regel nicht mehr mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.
Praxishinweis: Dies umfasst auch grundsätzlich Zahlungen auf Steuerschulden und die Abführung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung. Im Fall der verspäteten Insolvenzantragstellung haftet der Geschäftsleiter – trotz strafbewehrter Pflichten – für diese Zahlungen persönlich. Die damit einhergehende Pflichtenkollision lässt sich nur mit der rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrages vermeiden.
Sonderregelung für Steuerschulden: Sofern Geschäftsleiter ihren Pflichten zur Stellung eines Insolvenzantrages nachkommen, führt die Nichtabführung von Steuern nicht zu einer Verletzung der §§ 34, 69 AO. Diese Privilegierung gilt nicht für pflichtwidrig handelnde Geschäftsleiter, die einen Insolvenzantrag verspätet stellen.
5. Persönliche Haftung des Geschäftsleiters
In der Unternehmenskrise drohen dem Geschäftsleiter verschiedene Haftungsrisiken:
- § 823 Abs. 2 iVm 15a Abs. 1 S. 1 InsO sieht eine persönliche (unmittelbare) Haftung des Geschäftsleiters gegenüber Gläubigern für den Fall einer verspäteten Insolvenzantragstellung vor.
- Eine persönliche (unmittelbare) Haftung des Geschäftsleiters sieht §§ 823 Abs. 2 iVm 263 StGB für den Fall vor, dass der Geschäftsleiter nach (erkannter) Insolvenzreife noch Verträge abschließt bzw. Leistungen von Gläubigern in Anspruch nimmt, obwohl er damit rechnet, diese aufgrund der Insolvenzreife nicht mehr bezahlen zu können (Eingehungs- bzw. Erfüllungsbetrug).
- Schließlich sieht auch § 15b Abs. 4 InsO eine persönliche (unmittelbare) Haftung des Geschäftsleiters vor. Danach haftet der Geschäftsleiter grundsätzlich für alle Zahlungen, die das Unternehmen nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet hat, sofern diese nicht – wie oben beschrieben – mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft bzw. im Insolvenzfall, dem Insolvenzverwalter.
Gerne unterstützen wir Sie bei allen rechtlichen Fragen rund um die Pflichten eines Geschäftsleiters vor und in der Unternehmenskrise. Sprechen Sie uns an!
Veröffentlicht am 17. Januar 2025
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